Der Sturm ist noch nicht vorüber, aber ein Ende ist absehbar.

Festzustellen, die Unsicherheit im Hinblick auf das kommende Jahr sei hoch, ist eine Plattitüde. Für 2023 gilt dies genauso wie für jedes andere Jahr. Wobei es diesmal tatsächlich einen Unterschied zu geben scheint, nämlich die stark gestiegene Wahrscheinlichkeit extremer Wendungen.
Die multiplen Krisen, die uns vor komplexe Herausforderungen stellen, erschweren den Blick in die Glaskugel. Vieles hängt vom Ausgang solcher Entwicklungen ab, die wir noch vor Kurzem für sehr unwahrscheinlich gehalten haben, darunter Russlands Überfall auf die Ukraine, eine möglicherweise radikale Neusortierung der Globalisierung oder der Zwang, viel schneller aus der fossilen Abhängigkeit herauszukommen als bisher gedacht.
So könnte eine weitere Eskalation der Kriegshandlungen seitens Russlands klassische Markttreiber wie Wachstums- und Inflationsausblick überlagern. Gleiches gilt für die Veränderungen im Welthandel. Sollte es zu einem offenen Handelskrieg kommen, wären moderate Prognosen vermutlich schnell Makulatur.
Davon abgesehen sieht 2023 aber auch stark nach einem Jahr mit Erholungspotenzial aus, bei Aktien eher als bei Renten. Extreme Wendungen können ja auch in eine positive Richtung gehen.
In Kürze: Wir erwarten für das erste Halbjahr 2023, dass sich in diesem Zeitraum die Auswirkungen der restriktiven Notenbankenpolitik 2022 zeigen werden. Es wurde von der amerikanischen Notenbank FED klar und deutlich angekündigt, dass zur Bekämpfung der Inflation eine Rezession, sinkende Unternehmensgewinne und auch Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden.
Wir beginnen das Jahr 2023 also sehr risikoavers. Dabei sind wir uns bewusst, dass sich bei Änderungen der Rahmenbedingungen zum Positiven das Erholungspotential bei Aktien sehr schnell zeigen kann und ein schneller Einstieg in die Märkte notwendig wäre. Das passiert unserer Meinung nach schon, wenn die ersten besseren Unternehmensnachrichten kommen. Und umgekehrt: sollte es wieder aufgrund von unerwarteten Ereignissen zu einer extremen Wendung im Markt kommen, werden wir konsequent reagieren müssen und evtl. wieder gegenteilige Positionen einnehmen.

Wir sehen für das erste Halbjahr 2023 bisher also mehr Risiken als Chancen und sind aktuell sehr vorsichtig positioniert: viele Aktienpositionen in der Vermögensverwaltung warten noch auf die Investition; in den Fonds haben wir das Aktienrisiko aktuell extrem reduziert.
Einzelne Branchen, wie die Kreislaufwirtschaft oder der Bereich der erneuerbaren Energien, haben trotzdem erhebliches Potential, da die Wirtschaftsprogramme in den USA und Europa hier unterstützend wirken. Hier sind wir bewusst auch aktuell selektiv investiert.
Etwas weiter in die Zukunft geschaut, halten wir die Wahrscheinlichkeit, dass die großen Risiken im 2. Halbjahr eingepreist sind, fiskalpolitische Maßnahmen greifen und / oder geopolitische Risiken abnehmen für sehr realistisch, so dass sich dann das Erholungspotential der Aktien zeigen kann.
Welche extremen Wendungen bis dahin zu sehen sein werden, wissen wir nicht. Daher bleibt es natürlich ein Blick in die Glaskugel. Aber es ist ein positiver Ausblick, zumindest mittelfristig.
Für die, die es genauer wissen wollen, wie wir zu unserer Einschätzung kommen, geht es jetzt weiter ins Detail. Achtung: es wird etwas kompliziert, aber wir haben auch eine komplizierte Lage.
Warum bleiben wir im Bereich der Aktien weiter untergewichtet?
In Anbetracht der Marktschwäche in diesem Jahr wäre es einfach anzunehmen, dass jetzt ein günstiger Zeitpunkt für ein höheres Engagement in Aktien sei, doch dieser Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Das möchten wir erklären:
Die Zinspolitik der FED, die eine Rezession bewusst in Kauf nimmt, um die Inflation zu dämpfen, wird ihre Wirkungen erst in 2023 entfalten. Die Gründe liegen in der indirekten Wirkung der Zinspolitik (wir beschrieben bereits die Hintergründe in den vorherigen Reports) Für 2023 wird daher allgemein erwartet, dass es eine Rezession geben wird.
Aktuell sind die Gewinnrevisionen der Unternehmen aber noch nicht weit genug an eine Rezession angepasst. Weder in den USA noch in Europa. Das bedeutet, dass die großen Unternehmen ihre Wachstumsausblicke noch nach unten revidieren werden. Verstärkt werden unsere Bedenken dadurch, dass amerikanische Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 20 aktuell überhaupt nicht preiswert sind. Die Talsohle in Aktienkrisen wurde in der Vergangenheit erst bei einem KGV von 12-15 erreicht! Eine Gewinnrevision nach unten wirkt so doppelt negativ.
Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen haben ebenfalls negative Vorzeichen und geben Warnsignale:
- Der Trend in der Arbeitslosenquote in den USA ist negativ, dies wird die Konsumlaune ebenfalls dämpfen.
- Deutlich höhere Hypothekenzinsen bremsen den Verkauf von Neuimmobilien.
- In den USA nähern sich die kurzfristigen Zinsen der 5% Marke; die Zinskurve ist zunehmend invers. Das bedeutet, die Rendite von 10-jährigen Anleihen liegt unter der der 2-jährigen. Eine solche Situation hat in der Vergangenheit noch nie zu einer Trendwende im Aktienmarkt geführt.
- Die von den Notenbanken herbeigeführte Einschränkung des monetären Wachstums (Geld-menge) bringt Konjunktur- und Aktiengewinne zuerst unter Druck. Aktuell werden Negativ-Rekorde im Geldmengenwachstum M1, M2 in den USA realisiert. Diese Indikatoren zeigen klar auf Baisse, also fallende Kurse.
- In Europa schmälert der Energieschock die verfügbare Einkommen.
- Steigende Kreditzinsen tun ein Übriges.
Die Nachrichten in den Medien fokussieren sich immer wieder auf das Kommen einer Rezession. Ob die offensichtlich in 2023 kommende Rezession heftig oder schwach ausgeprägt sein wird, spielt dabei für die Entwicklung der Aktienmärkte gar keine große Rolle: sie dokumentiert nur, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickelt hat. Entscheidend für die Aktienmärkte wird die Entwicklung der Unternehmensgewinne und der darauf aufbauende Ausblick für die nähere Zukunft sein.
Hier erwarten wir in naher Zukunft erst schlechtere Nachrichten, die sich dann in den folgenden Quartalsausblicken verbessern sollten.
Was bedeutet dies für uns?
Wenn wir in die Vergangenheit schauen, dann wissen wir, dass Aktienmärkte nicht drehen, wenn die Notenbankpolitik restriktiv ist. Es dauerte in der Regel sechs Monate, bis es nach dem Zinshoch zur Trendwende kam. Dieses Zinshoch wird für das erste Quartal 2023 erwartet. Das muss natürlich nicht so kommen, aber es stellt einen Erfahrungswert dar. Eine Wende könnte demnach noch etwas dauern.
Zu beachten ist auch, dass die Aktienmärkte bereits ihre Talsohle erreichen, bevor die Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreicht.
Dies gibt den Fahrplan für die nähere Zukunft vor: wir werden dann wieder in die Aktienmärkte einsteigen, wenn die Gewinnrevisionen am niedrigsten sind. Wir warten also nicht auf den schwächsten Moment im Wirtschaftszyklus, sondern reagieren antizyklisch, wenn die Unternehmensnachrichten an die Realitäten angepasst sind und wieder positiver im Blick auf die Zukunft werden.