Quartalsbericht Sommer 2022

Der perfekte Sturm

Hamburg, 14.7.2022. Im letzten Quartalsbericht schrieben wir: „Ein schlimmeres Umfeld kann es wohl nicht geben!“ Damals – vor drei Monaten – stellten wir uns die Frage, ob die Ängste vor einer Rezession oder Stagflation wahr werden könnten.
Wir hatten uns zumindest insoweit geirrt, als das sich drei Monate später die wirtschaftliche Lage weltweit nochmals weiter verschlechtert hat. Ökonomen haben ein neues Schlagwort zur Beschreibung der aktuellen Situation gefunden: „der perfekte Sturm.“

Dieser Sturm kommt nicht erst auf uns zu – wir stecken mittendrin!

Er ist das Ergebnis vieler Faktoren, die sich auf den Finanzmärkten immer weiter aufgebaut haben und die ineinandergreifen:

  • Inflation und die Zinswende der Notenbanken, damit einhergehend drohende Rezession, massive Kursverluste an den Börsen weltweit und das in allen Anlageklassen.
  • Krieg in Europa und Energiekrise,
  • zudem die Lieferkettenprobleme, die sich verstärken.

Dieser Sturm trifft die Gesellschaft unvorbereitet. Er hat durch die Börsenturbulenzen sowie seine realwirtschaftlichen Auswirkungen das Potential Menschen arm werden zu lassen, er kann Unternehmen durch Lieferkettenprobleme, Rezessionsfolgen und Kostensteigerungen ruinieren. Ganze Volkswirtschaften massiv belasten.
Von einem solchen Sturm ist hier die Rede.

Was passiert gerade und welche Auswirkungen erwarten wir für die Entwicklung der Märkte?

  • Explosion der Inflationsraten und damit verbunden der Anstieg der Zinsen.
    Vor mehr als zehn Jahren, als die hohen Schuldenstände mancher Länder in der EU den Euro zu sprengen drohten, verkündete der damalige Zentralbankpräsident Mario Draghi sein „Whatever it takes“. Dahinter stand die Absicht, die Finanzierung der Staatsschulden auf niedrigem Zinsniveau sicherzustellen. Die Notenbanker auf der Welt trieb außerdem die Angst vor Deflation, also sinkenden Preisen, um. Natürlich war die Angst vor steigenden Inflationszahlen auch ein Thema, aber der Geist konnte durch den Draghischen Bannspruch in der Flasche gehalten werden. Die EZB ging zu Beginn der aktuellen Krise lange davon aus, dass mit einem Abflauen der Pandemie und einem Ende der Lieferkettenstörungen die aufkommende Inflation von alleine wieder kräftig sinken würde.
    Es kam anders: neue, externe Faktoren, auf die ich gleich eingehe, haben nun die Inflation auf ein Rekordhoch von 8,6% im Mai in den USA und 8,1% in der Eurozone getrieben.
    Als logische Reaktion der Notenbanken und auch des Kapitalmarktes sahen wir einen starken Anstieg der Zinsen. Zuerst erhöhte die amerikanische Notenbank FED die Leitzinsen, die englische und schweizerische Notenbank folgten umgehend. Die europäische Notenbank EZB kündigte schließlich auch Zinserhöhungen an, jedoch in einem viel geringeren Ausmaß als es die FED tat, so dass sich im Markt der Eindruck einer zu zögerlichen und dadurch ungenügenden Reaktion gefestigt hat. Anders als bei FED-Chef Powell, der versicherte, dass die FED die Zinsen so häufig und so schnell erhöhen würde, bis die Inflation wieder im Griff sei. Auch wenn er dafür eine Rezession in den USA in Kauf nehmen muss. Zitat Powell: „Wir müssen jetzt mit neuen Umständen umgehen und über Geldpolitik auf eine andere Weise nachdenken. … Wir verstehen jetzt besser, wie wenig wir über Inflation wissen.”
  • Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession steigt- bei anhaltend hohen Zinsen.
    Das ist dann das Szenario einer Stagflation.
    Es wird allgemein befürchtet, dass die zögerliche Anhebung der Leitzinsen durch die EZB in Europa die Inflation nicht wird zurückdrängen können. Ändert die EZB ihre Politik und langt beherzter zu – wie die FED in den USA – dann erwürgt der Zinsschritt die geringe Hoffnung auf Wirtschaftswachstum. Kredite würden teurer, Anleihen wären wieder eine Anlagealternative, Erwartungen an die Unternehmensgewinne sinken. In den USA hat es noch nie eine Phase steigender Zinsen gegeben, die nicht spätestens nach zwölf Monaten zu einer Rezession führte. Die Stimmung dort ist schlecht: das Verbrauchervertrauen liegt jetzt auf dem niedrigsten Stand seit 1980. Bei der bevorstehenden Berichtssaison der Unternehmen zeichnet sich eine deutliche Abkühlung der bisher euphorischen Gewinnprognosen ab.
  • Krieg und seine direkten Folgen: Hohe Energiepreise und Verstärkung der Lieferkettenproblematik
    Aus dem lokal – militärischen Krieg ist mittlerweile ein Wirtschaftskrieg geworden. Deutschland als eines der Hauptabnehmerländer russischer Energielieferungen, rutscht völlig unvorbereitet in eine Energiekrise, wie wir sie noch nicht erlebt haben.
    Für die Gasversorgung hat die Bundesregierung die zweite von drei Alarmstufe ausgerufen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Energiepreiserhöhungen auf die Industrie und die Verbraucher durchschlagen.
    Vor diesem Hintergrund können selbst die umfangreichen Auftragspolster der deutschen Industrie derzeit keine fundamentale Freude hervorrufen. Theoretisch reichen sie aus, um die Betriebe knapp 12 Monate produzieren zu lassen. Mangels Masse an Energierohstoffen und Vorprodukten lassen sie sich praktisch aber nicht abarbeiten. Und leider ist derzeit auch noch kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen.
    Die hohen Energiekosten treiben die Inflation nach oben. Sie treffen Deutschland besonders hart, Europa ein bisschen weniger, den Rest der Welt kaum. Im internationalen Wettbewerb hat Europa das Nachsehen.
    Nicht zu vergessen: die Lieferkettenproblematik wird durch den Ausfall Russlands und der Ukraine weiter verstärkt. Mit der Folge von steigenden Rohstoffpreisen auch außerhalb von Öl und Gas. Nach und nach wird uns erst bewusst, wie abhängig wir auf dem Rohstoffmarkt allgemein von Russland geworden sind.
  • Geostrategische Situation
    Russland ist vom Handelspartner wieder zu einem Feind geworden. Bleibt China ein wichtiger Handelspartner?
    Dass totalitäre Regimes mit ihren unberechenbaren Strukturen sowohl in Moskau als auch in Peking herrschen, ist prinzipiell ja keine neue Erkenntnis – vielen wird dies aber erst jetzt vor dem Hintergrund der derzeitigen globalen Lage so richtig bewusst. Die Führung Chinas befindet sich in einem Handelsstreit mit den USA und verfolgt mehr oder weniger eine Null-Covid-Strategie. Die Folgen daraus reduzieren das historisch gesehen eigentlich hohe Wirtschaftswachstum deutlich.
    Gleichzeitig werden auch in China Bevölkerungsgruppen wie die Uiguren auf grausame Weise unterdrückt. Die Konsequenz aus all diesem sind große Verwerfungen im Lande. Der Immobilienmarkt ist zusammengebrochen. Die beiden größten Immobilienentwickler des Riesenreichs sind derzeit abhängig von massiven Staatshilfen.
    China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands und bisher war dies immer eine willkommene Kompensation für Phasen, in denen die heimische oder europäische Wirtschaft schwächelte. Aber das scheint derzeit eine reine Vergangenheitsbetrachtung zu sein.

An guten Nachrichten fehlt es derzeit. Dementsprechend haben wir das Risikomanagement im 2. Quartal fast durchgehend aktiviert gehalten.


Bleibt die Frage, ob jetzt schon alle schlechten Nachrichten eingepreist sind. Das wäre dann das Indiz für einen Wiedereinstieg. Hier schauen wir auch auf andere Faktoren:

  • Die zuletzt massiven Aktienverkäufe zeigen deutlich Anzeichen einer „Kapitulation“. Hinzu kommt die zwischenzeitlich stärkste Spekulation von Hedgefonds auf sinkende Aktienkurse (sog. Leerverkäufe) seit der Lehman-Pleite, vor allem in Europa.
    Ob das schon der finale Ausverkauf ist, der typischerweise das Ende einer Abwärtsbewegung kennzeichnet, bleibt abzuwarten. Einstweilen bleiben nachhaltige Erholungs-Rallys der Aktienbörsen abseits von Zwischenerholungen aus unserer Sicht noch schwach. Kleine Gewinne werden sofort wieder abgegeben, was gegen einen Wiedereinstieg spricht.
  • Der Fear & Greed Index von CNN Money verharrt im Bereich „extremer Angst“. Interessanterweise ist dieser Index auch ein Kontraindikator. Panik ist hier eher ein Anzeichen dafür, dass auch noch die letzten Verkaufswilligen ihre Aktien abwerfen. Mit der Folge, dass die aktuelle Marktlage auch eine Übertreibung nach unten sein kann: Aktien also zu billig geworden sein könnten und ihrem wahren Wert nicht entsprechen.
  • Laut Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern hat der weltkonjunkturelle Pessimismus ein weiteres Allzeithoch erreicht. Dementsprechend ist die Kassenhaltung hoch. Damit wartet auf der professionellen Ebene viel Geld an der Seitenlinie, das sich bei Perspektivenaufhellung sofort zurück an die Aktienmärkte traut und für eine Kursbefestigung sorgt. Dies ist dann zu erkennen, wenn die kleinen Erholungsrallys nicht durch Gewinnmitnahmen gleich wieder beendet werden.

Märkte blicken in die Zukunft und versuchen diese „einzupreisen“. Aktuell sieht es extrem düster aus, die guten Zeiten scheinen heute vorbei. Das muss aber natürlich nicht so bleiben.
Wir warten auf positive Nachrichten in Form von Informationen, dass die einzelnen Krisen bewältigt oder in den Auswirkungen in den Griff bekommen werden.

Ihr Andreas Enke