Es ist ein kompliziertes Umfeld
Hamburg, 18.01.2022 Nach dem sehr guten Aktienjahr 2019, der schnellen Markterholung nach der Pandemiekrise und den attraktiven Kurssteigerungen 2020 sind wir Aktionäre verwöhnt. Aber es stellt sich die Frage, ob es so weitergehen kann. Sind die Gründe für die Aktiengewinne noch aktuell?
Sorgen bereiten uns die folgenden Punkte:
- Wir haben derzeit eine hohe Inflation und erwarten steigende Zinsen.
- Die starken Gewinnanstiege der Unternehmen in 2021 werden nicht zu halten sein: resultieren sie doch z.T. aus Basiseffekten (niedrige Gewinne in 2020)
- Die expansive Notenbankpolitik wird nachlassen. Die geldpolitische Wende wurde bereits angekündigt.
- Sollten die Unternehmensgewinne schwächer als erwartet ausfallen, sehen viele Experten eine Stagflation kommen. Ein Szenario, welches zu einer länger anhaltenden Rezession führen kann.
Auf der anderen Seite haben wir immer noch unsere Markttreiber:
- Ein immer noch extrem niedriges Zinsniveau mit negativen Realzinsen stärkt den Trend zu Aktienanlage
- Die Notenbanken haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und kommunizieren vorausschauend, so dass Überraschungen ausbleiben
- Die Konjunkturprogramme in Europa und den USA laufen an.
Aktuell erscheint wieder das Gespenst der „Stagflation“ als die größte Sorge der Experten in den Wirtschaftsnachrichten: hier möchte ich ansetzen und erklären, warum wir im Moment relativ entspannt sind.
Was war das noch einmal: „Stagflation“ und warum wird wieder davon geredet? Was ist daran so gefährlich?
Stagflation ist ein überaus seltenes Phänomen. Für so eine Phase werden gerne die 70er Jahre nach dem Ölpreis-Schock (1973) angeführt. Lange her, aber ein Szenario, was für eine Volkswirtschaft, die auf Wirtschaftswachstum basiert, gefährlich ist, weil sie aus der Situation nur schwer wieder herauskommt.
Verkürzt dargestellt, bedeutet Stagflation das Auftreten von Inflation bei einer sich schwach entwickelnden Wirtschaft. Stagflation ist ein Störfall der Geldpolitik, den es eigentlich nicht geben dürfte.
Sie ist deswegen so ungewöhnlich, weil Inflation bei geringem Wirtschaftswachstum normalerweise nicht auftaucht. Inflation entsteht durch kräftiges Wirtschaftswachstum mit damit verbundenen Lohnerhöhungen.
Warum ist das so?
Das Basisszenario unseres Wirtschaftsmodells ist ein positiver Kreislauf:
die Wirtschaft wächst, die Unternehmensgewinne steigen, die Löhne steigen, die Kaufkraft steigt und die Nachfrage steigt.
Daher steigen die Unternehmensgewinne, anschließend steigen die Löhne, was wiederum die Kaufkraft erhöht, ….
Damit sich der Kreislauf nicht immer weiter beschleunigt, treten die Notenbanken auf die Bühne. Sie versuchen in diesen Zeiten durch Zinserhöhungen die Umlaufgeschwindigkeit dieses Kreislaufes zu bremsen. Und umgekehrt.
Richtig eingesetzt, wächst die Wirtschaft bei moderaten Zinsen. Daher wird auch immer beschrieben, dass das Ziel der Notenbankpolitik eine geringe Inflation ist.
Bei einer Stagflation erleben wir dagegen eine Art Störfall. Zum Beispiel einen plötzlichen Preisanstieg durch externe, überraschend auftretende Faktoren. (Ölpreisschock 1973, Lieferkettenprobleme 2021). Weil die Produktionskosten steigen, erhöhen die Unternehmen die Preise, die Verbraucher fahren ihre Nachfrage zurück und gleichzeitig ist die Inflation durch die Preiserhöhungen gestiegen.
Dieses Mal entsteht Inflation also nicht durch Wachstum, sondern durch externe Preisfaktoren.
Wo liegt das Problem?
Bei einer hohen Inflation müssten die Notenbanken eigentlich die Zinsen erhöhen, was aber die Produktionskosten und so die Preise weiter erhöhen würde.
Jetzt sind die Preise schon gestiegen, weitere Preisanstiege gefährden das Wirtschaftswachstum.
Böse wird es, wenn aufgrund der hohen Preise und der daraus folgenden Inflationserwartungen höhere Löhne gefordert werden, was die Unternehmen weiter belastet. Ein allgemein hohes Preisniveau bei hoher Arbeitslosigkeit ist die Folge.
Es kann eine negative Spirale aus sinkenden Unternehmensgewinnen und sinkender Nachfrage entstehen. So war es 1973-1975, als die Inflation von 6% auf 11% und 9% stieg, das Wirtschaftswachstum 1974 und 1975 dabei leicht negativ ausfiel.
Die klassische Notenbankpolitik – damals noch die der Bundesbank – versagte.
Die Leitzinsen wurden gesenkt, zusätzlich wurden damals sogar schon Anleihen massiv gekauft, um die Zinsen weiter zu senken.
Es funktionierte nur nicht: wenn die Stimmung für die Zukunft sehr schlecht ist, geben die Banken die niedrigen Zinsen nicht weiter. Auch Unternehmen und Verbraucher nutzen die sinkenden Zinsen trotzdem nicht für Investitionen. (Quelle: https://www.welt.de/wall-street-journal/article108657695/Der-historische-Suendenfall-der-Bundesbank.html)
In der Folge kam es 1974 und 1975 zu einer Rezession.
Eine schwierige Marktphase, die sehr lange dauern kann. Zinserhöhungen gehen nicht, Zinssenkungen funktionieren nicht. Daher die aktuelle Diskussion. Eine Stagflation gilt es zu vermeiden.
Aber wie wahrscheinlich ist das Auftreten der Stagflation heute?
Die Preise sind 2021 massiv gestiegen. Die Inflationsrate in den USA lag im November im Jahresvergleich bei 6,8%, der stärkste Anstieg seit 1982. In der Eurozone stieg die Gesamt-konsumentenpreisinflation auf das Rekordniveau von 5,0%.
Der Unterschied zu 1973-1975 liegt in den Unternehmensgewinnen und dem Sonderfaktor der hohen Nachfrage der Verbraucher. Pandemiebedingt verfügen wir Verbraucher (noch) über viele Reserven, einfach, weil viele Ausgaben 2021 nicht möglich waren. Gleichzeitig verknappte sich das Angebot durch die Lieferengpässe. Das war der Grund für die kräftigen Preisanstiege. Den Unternehmen geht es gut, die Gewinne sprudeln, da durch das knappe Angebot bei hoher Nachfrage das Preisniveau angehoben werden konnte, ohne dass die Kosten gestiegen waren. Diese Phase wird sich in 2022 abschwächen.
Eine Diskussion über das Auftreten einer Stagflation sehen wir daher als eher theoretisch an.
Wir gehen auf Basis unserer Informationen eher davon aus, dass :
- die Weltwirtschaft auch 2022 über dem Trend wächst
- die Inflation aufgrund von Basiseffekten gegen Ende des Jahres nachlassen wird
- die Lieferkettenproblematik nachlassen wird und damit auch der Preisdruck in vielen Sektoren
- die Notenbanken ihre Zinserhöhungen rechtzeitig kommunizieren werden und Überraschungen damit vermieden können.
Daher rechnen wir mit einem anhaltenden Aufwärtstrend der Aktienmärkte. Aufgrund der starken Kursanstiege der letzten Monate allerdings mit zwischenzeitlichem Rückschlagspotential.
Sollten außenpolitische Krisen wie die der Ukraine – Russland Konflikt zu kriegerischen Aktivitäten in Europa führen, ändert sich allerdings alles. In diesem Fall würden wir so schnell wie möglich Absicherungsstrategien aktivieren. Ein Szenario, für das wir allerdings keine fundierten Informationen haben, so dass wir auf Basis unserer positiven Einschätzung der Wirtschaftslage in das Jahr 2022 gehen. Natürlich mit einem wachsamen Auge auf die aktuellen politischen Entwicklungen.
Ihr Andreas Enke