Hamburg, 12.06.2020
Um zu erklären, was in den letzten Wochen passiert ist und wie wir im Management des Fonds damit umgehen, möchte ich mit Ihnen ein wenig über unsere Notenbanken und Geldpolitik reden. Das klingt erst einmal nicht so spannend. Ist es aber, also bleiben Sie dran! Die Lesezeit beträgt 5 Minuten.
Die internationalen Börsen zeigen sich derzeit als Tollhaus. Seit dem Tiefstand am 18.März hat der Dax ca. 50% zugelegt, die Hälfte dieser Aufholjagd erlebten wir dabei in den letzten drei Wochen. Weltweit sehen wir ähnliche Entwicklungen.
Ist denn an der Börse nichts mehr normal? Es ist sicher, dass eine schwere Rezession kommen wird – trotzdem steigen die Börsen.
Versuchen wir eine rationale Analyse, denn auch wir wurden von der Entwicklung überrascht.
Die Wirtschaftsdaten sind historisch schlecht. So weit, so bekannt. Zuletzt kam etwas Neues hinzu: schnelle, massive und teilweise sogar international koordinierte Gegenmaßnahmen der Fiskal- und Geldpolitik. Das Wort „massiv“ trifft es noch nicht. Hier passierte historisches! Die EZB wird ihr Anleihekaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchasing Programme) um weitere 600 Mrd. Euro auf dann 1.350 Mrd. ausweiten und es statt bis Jahresende nun mindestens bis Mitte 2021 laufen lassen. In einer Mitteilung der EZB hieß es, dass „so lange Wertpapiere aufgekauft werden, bis die Krise vorüber ist“.
Die amerikanische Notenbank FED gab bekannt, die Wertpapierkäufe mindestens im aktuellen Tempo fortzuführen. Hier werden ca. 80 Milliarden USD je Monat in amerikanische Staatsanleihen investiert, dazu weitere 40 Milliarden in andere Wertpapiere.
Zum Vergleich: der Bundeshaushalt war vor der Pandemie mit 362 Milliarden budgetiert worden.
Was bedeutet dies, welcher Sinn steckt dahinter?
Die Finanzierungskonditionen von Staaten und Unternehmen bleiben günstig oder werden noch günstiger. Die Notenbanken kaufen die Staatsschulden auf, quasi zu jedem Preis. So können sich auch die finanziell schlechter gestellten Länder billig refinanzieren, da die EZB einen extrem niedrigen Zins akzeptiert. Der Unterschied ist gewaltig, dafür ein Beispiel: derzeit liegt der Kupon (die Zinszahlung) italienischer Staatsanleihen bei 1,35%. Der Kurs liegt in etwa auf dem Rückzahlungsniveau von 100%. Würde Italien allein die Zinsen und die Rückzahlung garantieren, läge der Zins sicher über 10%. Mithin wäre die Zinslast der Staatsschulden ca. um das Zehnfache höher. Das würde der Staat nicht aushalten.
Auf der Unternehmensseite ist es vergleichbar: die Renditen der Unternehmensanleihen sind vergleichbar niedrig und durch die Kaufprogramme werden quasi alle Anleihen zu niedrigen Renditen vom Markt weg gekauft. So finanzieren sich derzeit viele Unternehmen viel preiswerter, als sie es eigentlich könnten. Auch dieser Effekt ist gewollt, um die Wirtschaft zu unterstützen und mit billigem Geld zu versorgen.
In Deutschland flankierte die Bundesregierung diese Breitseite an monetärer Expansion durch ein ebenfalls beachtliches Füllhorn an zusätzlichen Stimuli in Höhe von 130 Mrd. Euro für 2020 und 2021.
Diese Maßnahme zielt darauf, die Nachfrage der Konsumenten zu stärken, denn das Wirtschaftswachstum basierte gerade in den letzten Jahren weltweit stark auf der Binnennachfrage.
Dies gab dann dem DAX noch einmal zusätzlichen Schub, denn Deutschland hat hier wesentlich mehr Pfeile im Köcher als andere Länder.
Das alles war in diesem Maße unerwartet und führte zu einem Umdenken im Markt. Die Börse handelt Zukunftserwartungen. Jetzt gehen viele Marktteilnehmer von einer schnellen Erholung der Wirtschaft aus: ein Szenario, was lange definitiv ausgeschlossen wurde.
Ergebnis: Plötzlich gab es Nachholbedarf und die unbeliebteste, weil für die professionellen Marktteilnehmer überraschende Börsenrallye war da.
Wo liegen die Risiken? Ist die Corona – Krise jetzt erledigt, ein interessantes Kapitel mehr in der Börsengeschichte?
Eines sollte man aber nicht vergessen, wenn man die Entwicklung der Aktien betrachtet: Die Börse ist ein Tagesgeschäft, die Kurse sind Momentaufnahmen. Genauso schnell wie Aktienkurse einen Gipfel erklimmen, kann es wieder abwärtsgehen. Die Anleger sind schnell bereit, in den Krisenmodus zu schalten, wenn sich ihre Vorstellungen als zu optimistisch erweisen sollten. Beides haben wir in 2020 gesehen.
Denn es ist keineswegs so, dass Branchenexperten ihren kritischen Geist vor dem Casino abgegeben hätten: “Steigende Kurse treffen aktuell auf stark fallende Gewinnerwartungen”, stellen die Analysten der DZ Bank fest. Investoren setzten auf eine Erholung, obwohl noch nicht einmal das Ausmaß sowie die Dauer der Krise eingeschätzt werden könnten. Das ist unsere Meinung.
Aber: die Notenbanken und die Politik haben rechtzeitig und mit aller Kraft reagiert. In den nächsten Monaten entscheidet sich, wo der Weg hinführt.
Alle haben Angst vor Inflation – die wahre Gefahr ist eine andere!
Die Programme der Notenbanken führen zwangsläufig zu einem Anstieg der Geldmenge. Dieser Anstieg ist normalerweise ein Hinweis auf eine nahende Inflation.
Aber was ist heute noch normal: im Mai sank die Inflationsrate in Deutschland nach ersten Schätzungen auf 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, im April lag der Wert bei 0,9 Prozent. Im Euroraum lag die jährliche Inflationsrate laut Eurostat im Mai sogar bei nur 0,1 Prozent. Zum Vergleich: die EZB richtet ihre Geldpolitik eigentlich auf eine Inflationsrate von 2% p.a. aus.
Es kommt also gerade sehr viel Geld in Markt. Da derzeit die Nachfrage aufgrund der Unsicherheit der Verbraucher aber massiv eingebrochen ist, werden die Unternehmen ihre Preise kaum erhöhen können. Zudem werden die Kredite, die jetzt so preiswert von den Unternehmen genutzt werden, in den nächsten Jahren auch zurückgezahlt. Das Geld wird so wieder aus dem Markt genommen.
Richtig böse wird es, wenn die Nachfrage auf dem aktuell niedrigen Niveau verharrt.
Den Unternehmen fehlen in diesem Fall die Umsätze. Reagieren diese dann mit niedrigeren Preisen und wird dieser Effekt bekannt, schieben die Verbraucher ihre Käufe noch weiter auf, denn in der Zukunft wird das Produkt ja noch billiger. Die Unternehmen werden dann ihre Margen nicht aufrechterhalten können und sind früher oder später gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen. Denn durch die sinkenden Preise fallen die Einnahmen, während die Kosten oft nicht in gleichem Maße zurückgehen, zum Beispiel, weil Löhne in Verträgen festgeschrieben sind. Dadurch steigt die Arbeitslosigkeit weiter und für den Staat sinken die Einnahmen aus der Lohnsteuer. Die Folge steigender Arbeitslosigkeit wiederum ist ein gebremster Konsum – die Menschen können sich keine hohen Ausgaben mehr leisten. Der Staat verliert auch noch Mehrwertsteuereinnahmen. In Summe ergeben die Folgen einer Deflation eine durchaus reale Gefahr für den Geldbeutel des Einzelnen.
Die Reaktion der Notenbanken und der Politik waren daher angemessen und (hoffentlich) hilfreich, denn aus dieser Abwärtsspirale ist es schwer wieder heraus zu kommen.
Was bedeutet dies für den Anleger?
Die Kurseuphorie der letzten Wochen entbehrt also keineswegs einer gewissen Grundlage. Dennoch bleibt die Sorge, dass das Eis unter der Erholung an den Aktienmärkten brüchig ist. Etwa, wenn die Nachfrage der Verbraucher sich nicht wieder normalisiert. Oder, weil mehr wirtschaftlicher Schaden angerichtet worden ist, als auf den ersten Blick ersichtlich.
Wenn eine zweite Corona-Welle im Herbst und Winter ausbleibt (ein großes „wenn“) und die fiskal- und geldpolitische Hilfe rasch und zielgerichtet bei den bedürftigen Stellen ankommt, könnte die gegenwärtige Rallye an den Märkten letztlich doch gerechtfertigt sein.
Im Fonds wurden seit der ersten Woche im Juni die Absicherungen kontinuierlich aufgelöst, um von der aktuellen Marktstimmung zu profitieren. Sollten die fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen nicht die erforderlichen Effekte der schnellen Nachfragestimulierung erreichen, sind wir mit einem erneuten Aufbau der Absicherungen aber auch wieder schnell dabei. Dies alles passiert in einem Umfeld, welches von starken Schwankungen geprägt sein wird.
Andreas Enke