Vollbremsung

Hamburg, 28.02.2020 In Kürze für die Menschen mit wenig Zeit: Die Angst vor einer globalen Pandemie durch das Coronavirus hat sich in dieser Woche erheblich verstärkt und nun auch die Aktienmärkte erfasst. Die Gewinnwarnungen der Unternehmen häufen sich, die Belastungen durch Unterbrechungen der Lieferketten in einer globalisierten Welt werden offensichtlich.
Wir haben daher im Lauf der Woche das Aktienrisiko in allen Fonds und Vermögensverwaltungen erheblich reduziert und werden Ende der Woche alle Aktienpositionen entweder verkauft oder innerhalb der Fonds weitest möglich abgesichert haben.  Einen solchen Absicherungsmodus haben wir noch nie in den letzten 13 Jahren gefahren.

Wie kommen wir dazu?

Die letzten Handelstage waren global von panikartigen Abverkäufen der Aktienmärkte geprägt. Nachdem die Zahlen bestätigter Infektionen und Tode, die das Coronavirus weltweit forderte, über das Wochenende abermals deutlich Anstieg, werden die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft nun doch deutlich negativer bewertet. Ausschlaggebend dafür sind vor allem der starke Anstieg der Infektionszahlen in Südkorea – einem wichtigen Produktions- und Absatzland in der globalen Wirtschaftskette – und die plötzliche Ausbreitung des Virus in Norditalien.
Das Virus ist also im Westen angekommen und nicht mehr nur eine Erscheinung im fernen Asien, was zur vermehrten Verunsicherung der Bevölkerung und der Marktteilnehmer führt.

Warum ist China so wichtig?

Die Volksrepublik China stellt mit 1,4 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Erde dar.  Das Land steht mittlerweile für 17% des Welt-BIP (Bruttoinlandsprodukt) und 30% des Weltwirtschaftswachstums. Die mittleren und kleinen Firmen stellen inzwischen zentrale Elemente der Lieferketten der globalisierten Weltwirtschaft dar.
Seit drei Wochen befinden sich 80% dieser Wirtschaft in einem Stillstand. Den großen Unternehmen dort mag der Staat wahrscheinlich unter die Arme greifen; fraglich ist, wie es den kleinen und mittleren Unternehmen ergehen wird.

Hier liegt eine große Baustelle, denn China hat ein Verschuldungsproblem:

Die Verschuldung dort liegt heute offiziell bei soliden rund 50% des BIP mit allerdings stark steigender Tendenz. Dies ist aber nur ein kleiner Teil der Wahrheit und jetzt wird es spannend:
Eine Besonderheit des chinesischen Finanzsystems sind die Finanzierungsstrukturen auf lokaler Ebene.
Den chinesischen Gebietskörperschaften ist es gesetzlich untersagt, sich zu verschulden. Sie umgehen dieses Verbot mit Billigung der Zentralregierung aber seit 2008 grundsätzlich, da sie auf diesen Weg angewiesen sind, um die ambitionierten städtischen Infrastrukturmaßnahmen, etwa Verkehrssysteme, zu finanzieren.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat 2018 eine Untersuchung zu den chinesischen Schattenbanken, also dem informellen Finanzsektor, veröffentlicht. Der IWF beziffert dabei das jährliche Kreditwachstum der Unternehmen im Besitz der Gebietskörperschaften auf 25 Prozent pro Jahr seit 2007! Nach einem Arbeitspapier des IWF aus 2018 gibt es in der Geschichte keinen einzigen Fall, bei dem ein solches Wachstum nicht in einer Finanzkrise endete.

Je nach Quelle liegen die Schätzungen für die echte chinesische Staatsverschuldung zwischen 235% und 300% des BIP.

Schattenbanken finanzieren also staatliche Infrastrukturinvestitionen. Schon dieser Sachverhalt überrascht, weil die Finanzierung dieser Investitionen in OECD-Ländern von den klassischen Geschäftsbanken oder durch die Ausgabe von Staatsanleihen geschieht.
Der chinesische Weg verschleiert Kreditrisiken, aber letztlich verschwinden sie nicht. Zudem liegt eine strikte Trennung zwischen dem regulierten Bankensystem und den Schattenbanken nicht vor.

Mit anderen Worten: Die Risiken des Schattenbankensystems schlagen direkt auf die Geschäftsbanken durch.

Schlimmstenfalls platzt die chinesische Kreditblase, wenn die vielen kleineren und mittleren Unternehmen und daraus folgend die dahinterstehenden Menschen ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Ein Platzen einer (Immobilien)Kreditblase hatten wir 2008 in den USA. Es wäre schön, wenn es nicht so weit kommt.
Es muss definitiv auch nicht so weit kommen, wenn sich die Wirtschaft in China durch die zu erwartenden Stützungsmaßnahmen der Regierung dort erholt.

An der Börse werden Gewinnerwartungen gehandelt. Unsere optimistische Prognose aus dem Dezember, dass Aktien weiter attraktiv bleiben, fußte darauf, dass die Gewinne der Unternehmen weltweit auf hohem Niveau bleiben. Diese Annahme ist nun also Makulatur. Setzt sich im Markt die Meinung durch, dass die Gewinnerwartungen aus dem 4. Quartal 2019 zu hoch waren, ist mit weiterem Korrekturpotential, sprich Kursverlusten, zu rechnen.

Dabei sind die beschriebenen zusätzlichen Risiken im fernen Osten noch gar nicht eingepreist. Die Entwicklung der Gewinnerwartungen der Unternehmen weltweit wird jedoch, wie oben beschrieben, zusätzlich stark von der Entwicklung in China abhängen.

Und wo so wenig Licht, aber so viele dunkle Wolken zu sehen sind, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit besser, dem Geschehen an den Märkten von einer geschützten Warte aus zuzuschauen.

Andreas Enke